Question of Perspective
Question of Perspective
Nadine Godehardt

Der ungewollte Platz - The site of 9/11

 

Kurz danach, 2001
 
Erster Atemzug.

Ich höre ein Wort. Ich habe es oft gehört. Es schwirrt in meinem Kopf umher. Besetzt freie Plätze, derer dort viele sind. Es beherrscht die Stimmung in der politischen Welt. Jeder nimmt es in den Mund mit der Sicherheit zu wissen, was es bedeutet. Ich weiß es nicht, fühle mich sehr klein und sehr weit weg vom Geschehen.

Terror, ein neues Unwort. Ein Wort, das zu oft in den Mund genommen, nicht mehr so schlimm wirkt, weil wir dann meinen zu wissen, was es heißt. Es macht mich wahnsinnig. Ich sitze in einem Cafe, in einer deutschen Universitätsstadt, Studenten um mich herum, die diskutieren und meine Ohren schmerzen. Es ist wie eine andauernde Strafe. Ich höre Gerede über Lösungen, aber das ist der zweite Schritt, aber wie kann ich diesen diskutieren, wenn noch nicht einmal der erste Schritt irgendwie klarer ist? Ich sitze und mein Leben ist ein Witz umgeben von so vielen Witzigkeiten, dass Lachen wirklich schwer fällt.

 

Zweiter Atemzug.

Mir gefällt die falsche Größe mit der einen die Welt im Alltag gefangen nimmt. Ich fühle mich aufgegessen, ohne Zufriedenheit, verharrend in einem dunklen Raum, alleine, einsam. Mein Herz schlägt und ich weiß nicht, ob das ein gutes Zeichen ist. Ich mag keine Schläge.

Gestern war ich in der Stadt und als ich durch die Straßen ging, merkte ich wie ich diese Vielzahl von Lebendigkeit nicht mehr ertragen konnte. Alles läuft um einen herum, trägt Taschen, verzieht das Gesicht. Im nächsten Moment ist es vorbei und wirklich dunkel und dann kommt die Angst.

 

Dritter Atemzug.

Es ist nur ein Moment, in dem alles verharrt. Stillstand, ohne Stillstehen. Die Nacht vor dem Grauen, vor dem Möglichen, wir schreiten ihr entgegen. Bald sagt sie „Guten Tag“ und ein Wundern stellt sich vor. Ein Wundern darüber, dass es in diesen Tagen auch die entwickelte Welt trifft. Betroffenheit und (Vor-)Ahnungen. Kluge Reden und viele Worte, die mitreißen. Inszenierungen ohne Folgen oder ohne echtes Mitgefühl oder doch Ignoranz im Taumel der Bilder? Wo stehe ich? Krieg oder Frieden? Eine Ohrfeige der Normativität gewinnt die Überhand und versagt jegliches Widersprechen. Links oder Rechts? Wo ist sie die Mitte, um die alle gerne streiten, die aber keine Rolle spielt, denn wo liegt Bagdad, Teheran oder Kabul?
Die Re-Produktion und Verarbeitung des Tages, der die Welt verändert haben soll, setzte am Tag danach ein. Das Icon unserer Zeit – es liegt uns zu Füßen. Sensibilität ist Mangelware, alles muss weitergehen wie davor, denn sonst... Was sonst? Wieso ist es möglich nach diesem Tag zu schreiben, zu singen, zu malen oder einen Film zu drehen, den die Amerikaner nicht zeigen wollen. Bertolt Brecht kennt die Antwort, seine Nachgeborenen lassen grüßen. Dieses Ereignis – es wird zersetzt von dem „freien Willen“ und dem ungezügelten Engagement unserer Zivilgesellschaft. Doch vielleicht lassen wir dabei nur unserem inneren Druck freien Lauf – so wie ich hier. Und dabei ist es wohl gut nicht länger zu warten als nötig. Manchmal auch nur einen Atemzug lang.

 

 

13 Jahre danach, 2014

 

Der Platz wirkt immer noch wie eine Wunde auf mich. Sie ist nicht mehr offen, aber immer noch stark gerötet. Es wirkt so als wenn wir gerade dabei sind, die letzten Fäden zu ziehen und langsam den letzten Verband abzunehmen.

13 lange Jahre und was wir jetzt hören, ist das Rauschen des Wassers, das kein Ende findet und von dem wir nicht wissen, wohin es fließt. Ähnlich wie Pearl Harbor ist 9/11 zu einem Icon dieser Nation geworden. Die Opfer, die Feuerwehrleute und vor allem dieser zwanghaft geschaffene öffentliche Platz im Herzen von Manhattan. Ein Sinnbild der Sinnlosigkeit des Terrors, der leider immer für eine Seite doch Sinn ergibt. Ähnlich wie Pearl Harbor ist 9/11 der Grund für viele politische Entscheidungen, die niemanden wieder lebendig gemacht haben, und uns ein weiteres Bild der US-amerikanischen Identität aufzeigen.

Die Bilder der Flugzeuge, die einstürzenden Türme – sie werden nicht vergessen werden und sie bleiben der Grund für die nicht mehr ganz so neue Abteilung „Homeland Security“, sehr erfolgreiche TV-Serien wie 24 und Homeland oder den „realen“ „War against Terror“.

 


Heute ist dieser Platz voll und ich stehe mitten unter den vielen Touristen aus den USA und aus anderen Ländern und atme die stickig-schwüle Luft New Yorks ein. Es ist so heiß, dass man sich fast vorstellen kann wie beißend es gestunken haben muss, nachdem die Türme nicht mehr da waren. Viele werden das noch heute riechen und sich diesem Platz kaum nähern können.

Wir stehen jetzt aber hier, machen Fotos, schauen ungläubig in die beiden Löcher, schlendern langsam von einem zum anderen „Turm“, setzen uns in den Schatten, essen ein Eis, posten unsere Eindrücke auf Facebook. Es ist gut, dass es diesen Platz gibt und dass die „Türme“ so wie früher (und natürlich doch ganz anders) wieder integriert werden in das Treiben und Leben von New York dieser großartigen Stadt. Denn es geht immer weiter – auch nach 9/11 und die Nachgeborenen stehen wie einst Brecht betonte auch jetzt wieder in der Pflicht. Jeden Tag. Immer wieder.

 

July/August 2014

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24 und Homeland oder den „realen“ „War against T

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